Ist Gluten schlecht? Sollte man nur noch glutenfreie Nudeln & Brot kaufen?
Als Ökotrophologin und Ernährungsberaterin mit einem Fokus auf Verdauung und Darmgesundheit höre ich in meiner Praxis oft die gleiche Frage: "Ist Gluten schlecht für mich? Sollte ich nur noch glutenfreies Brot kaufen?" Diese Unsicherheit rund um Gluten ist weit verbreitet, und es ist an der Zeit, die Mythen von den Fakten zu trennen. In diesem Artikel schauen wir uns das Thema Gluten genauer an – aus einer wissenschaftlichen Perspektive, damit du gut informiert bist und die richtigen Entscheidungen für deine Gesundheit treffen kannst.
Vor zwanzig Jahren hat kaum jemand von Guten gesprochen. Ich weiß noch, wie wir in meinem Ernährungswissenschaftlichen Studium über Gluten nur in Zusammenhang mit Zöliakie gesprochen haben. Heute kannst du kaum ein Menü aufschlagen oder einen Supermarktgang entlanglaufen, ohne auf glutenfreie Optionen zu stoßen. Aber was genau ist dieses Gluten eigentlich?
Was ist Gluten?
Gluten ist ein Protein, das in Getreidesorten wie Roggen, Weizen und Gerste steckt. Es findet sich in Lebensmitteln wie Brot, Nudeln, Mehl, Couscous, Bulgur und Bier. Auch andere Getreidesorten wie Einkorn, Triticale, Dinkel, Emmer und Kamut enthalten Gluten. Gliadin und Glutenin sind die beiden Hauptproteine, die zusammen das Gluten bilden.
Interessanterweise ist Gluten nicht nur ein Bestandteil in offensichtlichen Getreideprodukten wie Brot, Brötchen und Nudeln. Es kann auch in verarbeiteten Lebensmitteln stecken, an die man gar nicht denkt, wie z.B. in bestimmten Gewürzmischungen, die Gluten aus Weizenstärke enthalten, Tütensuppen, Imitat-Krabbenfleisch, Nudelsoße, verarbeiteten Fleischwaren und Knetmasse. Für Menschen, die auf Gluten verzichten müssen oder wollen, ist es daher wichtig, die Etiketten sorgfältig zu prüfen, bevor man ein Produkt kauft, selbst wenn man nicht erwartet, dass es Weizen oder Gluten enthält. Auch in vielen Fertiggerichten steckt Gluten. Gluten dient dabei als eine Art Klebstoff, der Lebensmitteln hilft, ihre Form zu behalten. Kein Wunder, dass das Wort "Gluten" tatsächlich aus dem Lateinischen für "Kleber" stammt!
Warum der Hype um glutenfreie Produkte?
Für Menschen, die auf Gluten verzichten müssen oder wollen, ist es toll, dass es mittlerweile so viele glutenfreie Alternativen gibt. Das spannende ist, dass sich die Zahl derer, die bewusst zu glutenfreien Produkten greifen, enorm erhöht hat. Obwohl eigentlich nur eine kleine Gruppe von Menschen aus gesundheitlichen Gründen wirklich vollkommen auf Gluten verzichten muss. Viele Menschen entscheiden sich aus dem Wunsch heraus, gesünder zu leben, auf Gluten zu verzichten.
Eine etwas ältere Umfrage aus dem Jahr 2013 mit 2000 Personen, die glutenfrei lebten, zeigte, dass 247 von ihnen Gluten aus anderen Gründen als Zöliakie oder anderen Erkrankungen mieden.
65 Prozent von diesen 247 Menschen gaben an, sie wollten „gesünder“ leben, während bis zu 25% versuchten, Gewicht zu verlieren und deswegen auf Gluten verzichteten. Eine andere Studie unter 2000 Australiern zeigte, dass 11% Weizen und Gluten einschränkten, obwohl weniger als 1% dafür medizinische Gründe dafür hatten.
Dieser Trend wird durch Werbung und Social Media “Health Gurus” angeheizt. Viele von ihnen behaupten, dass eine glutenfreie Ernährung ihnen beim Abnehmen hilft oder ihre Leistung verbessert. Trotz dieser Behauptungen gibt es keine überzeugenden Beweise dafür, dass gesunde Menschen von einer glutenfreien Ernährung profitieren.
Sind glutenfreie Produkte wie glutenfreies Brot oder glutenfreie Nudeln wirklich gesünder?
Nein, glutenfreie Produkte sind nicht gesünder als glutenhaltige Produkte. Studien zeigen, dass glutenfreie Produkte oft weniger wichtige Nährstoffe wie Folsäure, Ballaststoffe, Selen und Vitamin B12 enthalten. Es gibt auch Bedenken, dass diese Produkte mehr Fett, Zucker und Salz enthalten könnten.
Das deutet darauf hin, dass glutenfreie Produkte keinen echten Vorteil gegenüber normalen Produkten bieten. Und das, obwohl glutenfreie Produkte oft erheblich teurer sind – eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab, dass glutenfreies Brot bis zu 307% mehr kostet als Brot mit Gluten! Es ist schwer zu rechtfertigen, so viel mehr Geld auszugeben, ohne klare gesundheitliche Vorteile zu sehen.
Die glutenfreie Industrie ist ein großes Geschäft, das den Herstellern zugutekommt. Doch es gibt keine Beweise, dass gesunde Menschen ohne Zöliakie oder Glutensensitivität wirklich von glutenfreien Produkten profitieren.
Zudem gibt es Hinweise, dass eine glutenfreie Diät das Risiko erhöht, nicht genug Ballaststoffe und gesunde Vollkornprodukte aufzunehmen. Das ist besorgniserregend, weil Vollkornprodukte viele gesundheitliche Vorteile bieten. Sie fördern gesunde Bakterien im Darm und produzieren wichtige Fettsäuren. Das könnte erklären, warum eine glutenfreie Diät manchmal zu weniger nützlichen Bakterien im Darm führt.
Obwohl es natürlich auch so ist, dass sehr viele Menschen, die glutenhaltiges Getreide essen, zu wenig Ballaststoffe zu sich nehmen, weil sie zum hellen Brötchen statt zum Vollkorn-Haferflocken-Dinkelbrot greifen. Und nur mal als Hinweis am Rande, es gibt natürlich auch glutenfreie Vollkornprodukte aus Amaranth, Hirse und Buchweizen, die große Mengen an darmfreundlichen Ballaststoffen liefern.
Vollkornprodukte sind mit einem geringeren Risiko für Herzkrankheiten verbunden, weil sie viele Nährstoffe wie Ballaststoffe, Eisen, B-Vitamine und Kalzium enthalten. Ganz anders als die Behauptung, dass Getreide zu Entzündungen führt, zeigt eine weitere Studie, dass Vollkornprodukte (nicht aber raffinierte Getreideprodukte) dabei helfen können, chronische Entzündungen zu reduzieren und das Gewicht zu reduzieren. Ja, richtig gelesen. Vollkornprodukte können beim Abnehmen helfen. In der Studie wurde glutenhaltiges Vollkorn verwendet.
Warum nehmen manche Menschen dann ab, wenn sie auf Gluten verzichten?
Na, weil ja auch ganz viele zuckerreiche und kaloriendichte Lebensmittel wie Kuchen, Kekse, Käse-Brezel und Pizza Gluten enthalten. Wenn man auf diese verzichtet und stattdessen mehr Obst und Gemüse isst, dann kann es sein, dass man weniger Kalorien und mehr Ballaststoffe zu sich nimmt und dadurch abnimmt.
Außerdem sorgt die Kombination aus schnell verfügbaren Kohlenhydraten und viel Fett für ein kleines Feuerwerk in unserem Belohnungssystem, sodass wir gerne immer mehr davon essen und nach einem Stück Pizza, einem Cookie oder einer Handvoll Chips nur scher aufhören können zu essen.
Es ist also nicht das “böse” Gluten, was das Abnehmen behindert, sondern das Problem, dass viele glutenhaltige Produkte aus raffinierten Weizenmehlen bestehen, eine hohe Kaloriendichte haben und einfach zu schmackhaft sind.
Wer sollte Gluten meiden?
Es gibt einige Menschen, die aufgrund einer gesundheitlichen Kondition auf Weizen und Gluten verzichten müssen:
Zöliakie:
Menschen mit Zöliakie, einer chronischen, erblichen Autoimmunerkrankung, müssen Gluten unbedingt meiden. Zöliakie tritt nur bei entsprechender genetischer Voraussetzung auf und ist keine Allergie. Wenn Zöliakie-Betroffene Gluten essen, löst dies eine Entzündung im Dünndarm aus und schädigt die kleinen, fingerförmigen Ausstülpungen, die Zotten, entlang der Darmwand. Unbehandelt kann die Zöliakie die Darmschleimhaut schädigen und zu einer Malabsorption von Nährstoffen führen, was zu Mineral- und Vitaminmangel führt.
Die Symptome reichen von Müdigkeit und Appetitlosigkeit über Bauchschmerzen bis hin zu Durchfall und Verstopfung. Bis zu ein Prozent der Bevölkerung sind von Zöliakie betroffen. Allerdings haben viele Betroffene nur wenige oder untypische Symptome und wissen deshalb nichts von ihrer Zöliakie. Die Diagnose erfolgt mittels Antikörper-Bestimmung im Blut (Affiliate Link zum Testkit für zuhause) und einer Dünndarm-Biopsie. Am besten machst du das bei Gastroenterologen.
Derzeit ist die einzige wirksame Therapie ein konsequenter Verzicht auf Gluten. Pillen, Tinkturen oder Pulver, die im Internet angeboten werden, sind nicht hilfreich und können mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Weizenallergie:
Menschen mit einer Weizenallergie müssen weizenhaltige Produkte konsequent vermeiden. Häufig wird eine Weizenallergie mit Zöliakie verwechselt, doch es handelt sich um zwei unterschiedliche Erkrankungen. Menschen mit einer Weizenallergie können auch auf glutenfreie Produkte reagieren, wenn diese andere Teile des Weizens als Gluten enthalten.
Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität:
Einige Menschen testen negativ auf Zöliakie und Weizenallergien, berichten jedoch weiterhin über Verdauungsprobleme beim Verzehr von Gluten. Diese als Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität ist ein Krankheitsbild, das insbesondere bei Patienten mit Reizdarmsyndrom vermutet wird. Diese Menschen leiden nach dem Verzehr von Weizenprodukten an Beschwerden. Zu den häufigsten Symptomen gehören Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Übelkeit und saures Aufstoßen. Seltener wird auch über Müdigkeit, Antriebsstörungen, Kopfschmerzen, entzündliche Hauterscheinungen und Gelenkschmerzen berichtet. Die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität betrifft etwa 0,5% bis 13% der Bevölkerung.
Das ist eine riesige Bandbreite! Und diese sehr unterschiedlichen Schätzungen liegen daran, dass es nur begrenzte Forschung zu diesem Störungsbild gibt und es an einer klaren klinischen Definition mangelt. Im Gegensatz zu Weizenallergie und Zöliakie ist die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität nämlich nicht genetisch bedingt und scheint den Darm nicht zu schädigen.
Es gibt verschiedene mögliche Auslöser für die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität, darunter nicht nur Gluten, sondern auch andere Inhaltsstoffe wie alpha-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) und bestimmte FODMAPs, die die Auslöser sein können. Alpha-Amylase-Trypsin-Inhibitoren findet sich vermehrt in Weizen, der durch Züchtung resistent gegen Schädlingsbefall gemacht wurde. Deshalb müssen Menschen mit Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität nicht unbedingt völlig auf Gluten verzichten. Es könnte sinnvoll sein, den Weizenkonsum zu beschränken und stattdessen andere Getreidesorten wie Dinkel zu wählen.
Wenn du vermutest, dass du eine Weizensensitivität hast, sprich mit einem Arzt oder einer Ärztin beziehungsweise geschultem Ernährungspersonal. Unter deren Anleitung kannst du eine Eliminationsdiät ausprobieren, um den Auslöser für deine Beschwerden zu finden. Dies solltest du jedoch nicht auf eigene Faust durchführen, da dies zu Nährstoffmängeln und in einigen Fällen zu gestörtem Essverhalten führen kann.
Ist Gluten schlecht für alle?
Nein. Die meisten Menschen können die Menge Gluten in einem Teller Nudeln oder einigen Scheiben Brot problemlos verdauen. Wenn das nicht so wäre, hätten alle Europäer irgendwelche Verdauungsbeschwerden! Ich meine, wir Deutschen lieben unser Brot, die Italiener ihre Pasta und auch alle anderen Europäer haben bestimmte Grundnahrungsmittel, die eben aus glutenhaltigem Getreide bestehen.
In reißerischen Büchern oder auf pseudowissenschaftlichen Webseiten wird häufig behauptet, dass Gluten der Auslöser von Übergewicht sei und bei allen Menschen - auch denen ohne Zöliakie - Entzündungen im Körper auslöse. Doch die aktuelle Forschung zeigt: Für die meisten Menschen stellt Gluten keine Gefahr dar. Tatsächlich gibt es keinerlei wissenschaftliche Beweise, dass der Verzehr von Gluten für gesunde Menschen schädlich ist. Gluten besteht aus Proteinen. Diese werden während des Verdauungsprozess in Aminosäuren aufgespalten.
Manche Brote sind besser bekömmlich und bieten gesundheitliche Vorteile
Der Nährwert von Brot variiert je nach Zubereitungsmethode, und nicht jedes Brot ist gleich! Es gibt überzeugende Beweise dafür, dass Vollkornbrot und Sauerteigbrot nährstoffreicher sind als raffiniertes Weizenbrot. Sauerteigbrot ist zudem besser bekömmlich.
Forscher der Monash University in Australien fanden heraus, dass der Fermentationsprozess, der bei der Herstellung von Sauerteigbrot verwendet wird, die Gehalte an Fruktanen im Brot reduzieren kann. Fruktane sind eine Art resistenter Kohlenhydrate, die dafür bekannt sind, Symptome des Reizdarmsyndroms wie Bauchschmerzen und komischen Stuhlgang auszulösen.
Tatsächlich wurden einige Arten von Sauerteigbrot, insbesondere Dinkel- und Haferbrot, als Low-FODMAP-Lebensmittel eingestuft. FODMAP steht für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole – eine Gruppe von Verbindungen, die schwer verdaulich sind und Reizdarmsymptome verschlimmern können. Dies könnte erklären, warum viele Menschen mit Reizdarmsyndrom feststellen, dass sie einige Scheiben Sauerteigbrot essen können, aber keine größeren Mengen raffiniertes Weißbrot, das eben nicht fermentiert ist.
Wenn du also keine Zöliakie hast, aber das Gefühl, dass du Weizen oder Gluten nicht gut verträgst, dann probiere doch mal ein Dinkel-Sauerteigbrot und schau, ob du dies besser verträgst. Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass Sauerteigbrot besser verträglich ist als schnell gebackenes Brot ohne Sauerteiggärung. Ich erlebe es immer wieder in meinen Ernährungsberatungen, dass Menschen sich unnötig stressen, auf glutenhaltige Produkte verzichten und viel Geld für glutenfreie Alternativen ausgeben. Und dann im Laufe der Ernährungsberatung merken, dass sie Gluten gar nicht meiden müssen. Manchmal reichen eine Reduzierung von glutenhaltigen, stark verarbeiteten Produkten und der Umstieg auf ein leckeres Sauerteigbrot vom Bäcker aus, um keinen schmerzenden Blähbauch mehr zu haben.
Schlussfolgerung: Sollte man auf Gluten verzichten?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studienlage aktuell zeigt, dass Gluten für die meisten Menschen kein Gesundheitsrisiko darstellt. Während glutenfreie Produkte oft teurer sind und nicht unbedingt mehr Nährstoffe bieten, kann es für bestimmte Personen, wie etwa Menschen mit Zöliakie oder einer Weizenallergie, unerlässlich sein, Gluten zu meiden. Für viele andere sind glutenfreie Produkte kein zwingendes Muss und bieten keine besonderen gesundheitlichen Vorteile im Vergleich zu glutenhaltigen Lebensmitteln.
Statt dir über Gluten Sorgen zu machen und nie wieder Brot, Croissants und Nudeln zu essen, kannst du deinen Fokus auf eine ausgewogene Ernährung legen, die reich an Ballaststoffen und Nährstoffen ist. Wenn du das Gefühl hast, dass Gluten dir Probleme bereitet, kann es hilfreich sein, mit einer Fachfrau oder einem Fachmann zu sprechen und eventuell eine Eliminationsdiät durchzuführen.
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